Gigantenstiege

Im zweiten Teil unserer heurigen Triest-Berichterstattung besteigen wir Küstenwege und Riesenbauwerke – und treffen schon wieder einen Bekannten. Da hilft nur ein Capo in B

Für längere Wanderungen ist es einfach zu heiß, also flanieren wir durch Triest und Umgebung – eine höfliche Beschreibung für unser Dahinschlurfen und Der-Sonne-ausweichen-so-gut-es-bei-diesem-fast-wolkenlosen-Himmel-geht. Und wie wir an unseren Urlaubstagen nach dem ersten Wochenende so dahinflanieren, entdecken wir in einem der vielen kleinen und kostenlosen Museen der Stadt (nämlich im Civico Museo della Civiltà Istriana Fiumana e Dalmata, wer’s kennt) eine Ausstellung über Illustratoren aus Julisch-Venetien, einer Region, die so – leider – nicht mehr existiert.
Die Räumlichkeiten sind nicht nur gut klimatisiert, sondern bieten auch wunderschöne kommerzielle Kunst der vergangenen Jahrzehnte, von Zigarettenwerbung über Veranstaltungsplakate, Comics und Hotelinseraten bis hin zur Werbung für den Urlaubsort Grado (weiter unten, ganz rechts, im Stil der siebziger Jahre, also aus der Zeit, als ich mit meinem Vater ein-, zweimal dort weilen durfte).

Das weckt nicht nur nostalgische Gefühle, sondern auch die Lust, mehr zu sehen, mehr über die beteiligten Künstler zu erfahren (leider sind die Informationen alle auf Italienisch, und leider beherrsche ich die Sprache noch immer nicht), Ansichtskarten zu erwerben und noch eine Runde durch die Ausstellungsräume zu gehen, weil es dort soviel Schönes zu sehen gibt.

Gute Kunst weckt naturgemäß auch den Gusto auf leibliche Genüsse, denen wir – siehe unten – bei einem frühnachmittäglichen Imbiss zusprechen, bevor wir uns wieder zu Fuß auf den Weg zu weiteren Exkursionen machen, erst hinaus auf die Piazza Grande und dann weiter, weiter, immer weiter.

Ja, von wegen flanieren … Davon kann wirklich keine Rede mehr sein, wenn man einmal die Scala dei Giganti, die Stiege der Riesen, erklimmt. Die hört einfach nicht auf. Auf halber Strecke, beim Goldoni-Aussichtspunkt, schaut man einmal ein bissl in die Gegend hinein und gibt sich kulturinteressiert, um wieder zu Atem zu kommen. Dann dreht man sich um und steigt weiter hinauf. Ich habe die Stufen gezählt, aber ihre Anzahl sofort wieder vergessen, als wir endlich am Montuzza-Brunnen ankamen und uns dann im „Park der Erinnerung“ eine gemütliche Parkbank im Schatten suchten, um in Ruhe zu lesen – in meinem Fall einen alten Krimi aus den frühen Seventies, um beim Thema des Tages zu bleiben. Es kam ja leider nicht viel Besseres nach …

Oben sehen Sie links die Riesenstiege (das ist übrigens nur der Anfang) und rechts die Ausblicke, die man von dort genießen kann, sollte man zufällig noch Luft kriegen.

Aber damit war’s natürlich noch lange nicht aus. Wozu gibt es denn die bereits beschriebenen praktischen Busse, die über die Bergstraßen rasen und viel billiger als die öffentlichen Verkehrsmittel in der Heimat sind? Wir nehmen einen davon und lassen uns über die endlose Strada Provinciale nach Sistiana chauffieren, gehen die paar Meter zum Eingang des Rilke-Wanderwegs bzw. zur dortigen Touristen-Info, wo man stets nett begrüßt und behandelt wird, auch wenn man sich nur beim Automaten ein kaltes Getränk kauft. Das obige Schild gilt wahrscheinlich nicht nur für Wanderer, sondern für alle Leute, die sich mit einer Existenz im amtlich betreuten Leben abfinden: „Es ist verboten, die eingefahrenen Wege zu verlassen“ (den Beistrich gibt’s gratis von mir dazu). Realistisch, aber arm.

Und dann ging’s besinnlichen Schrittes den Rilkeweg entlang, zwischen Felsen, alten Bunkern aus den Weltkriegen, Eidechsen und um diese Zeit noch grünen Pflanzen, stets mit Blick aufs Meer. Die Schönheiten dieses Wanderwegs, der Teil des Alpen-Adria-Trails ist, haben wir ohnehin schon vergangenes Jahr angedeutet, daher nur kurz: Man muss gar nicht zum Schloss Duino wollen, um diesen Küstenpfad zu schätzen. Wir kommen zwar dorthin, aber da wir spät aufgebrochen sind, hat das Castello schon zu. Wir sind ja sowieso aus einem anderen Grund hier …

… nämlich wegen der wunderbaren Bar gegenüber dem Schlosseingang, in der es nicht nur die freundlichste und witzigste Bedienung weit und breit, sondern auch einen großartigen Cappuccino und ein angenehmes Lokalkolorit gibt, bei dem man sich gern dem Reisetagebuch widmet. Da stören nicht einmal zwei zwidere Mitglieder einer österreichischen Klein-aber-leider-viel-zu-wichtig-Partei, die mit verkniffenen Gesichtern die Dummheit ihrer ParteikolleginnenInnen und den politischen Abstieg des ganzen Schwindelunternehmens betrauern, während sie sich – wie daheim – ansaufen.

Doch vergessen wir diese Ewiggestrigen und freuen uns lieber auf den nächsten Tag. Da geht es in der Früh, nach einem entspannten Aufstehen und einem ersten Kaffee im angemieteten Apartment, nämlich zu einem unserer Lieblingsorte … und dort gleich zum nächsten Kaffee, dem kleinen Cappuccino im Glas, hierorts auch als „Capo in B“ tituliert. Wer den nicht kennt, sollte ihn kennenlernen. Und wer ihn zu Hause nachmachen will, wird bald merken, dass er in Triest einfach besser schmeckt. Muss wohl an dem Blick aufs Meer liegen, den wir allmorgendlich genießen dürfen. Dazu speisen wir jeder ein süß gefülltes Croissant, das hier übrigens nicht „Cornetto“ heißt, so wie in Venedig, sondern „Brioche“. Wer kennt sich da noch aus?

Nach diesem Frühstück machen wir uns auf den Weg zu unserem nächsten Ziel – und plötzlich steht da schon wieder ein alter Bekannter vor mir, wieder einer, den ich seit Jahren nicht gesehen habe. Man freut sich einerseits, weiß aber andererseits gar nicht, was man sagen soll. Weil man natürlich überrascht ist, weil man nach der langen Zeit ziemlich schmähstad ist, und weil man sich auch insgeheim denkt, dass man ja nicht in den Urlaub fährt, um Leute zu treffen.

Wer obigen Ausschnitt aus einem herrlichen Garten-Lapidarium (= Sammlung von Steinwerken; ja, ich habe in der allwissenden Müllhalde nachgeschaut) sieht, der wird verstehen, dass wir diesen Ort gern ein zweites Mal besuchen: das Museo d’Antichità JJ Winckelmann, auch Winckelmann-Museum genannt und dem Begründer der wissenschaftlichen Archäologie gewidmet. Johann Joachim Winckelmann wurde 1717 im deutschen Stendal geboren und 1768 in Triest von irgendeinem Widerling ermordet. Den Besuch in „seinem“ Museum der Antike sollte man keinesfalls verpassen – nicht nur wegen des Kenotaphs (aber jetzt schauen Sie selber nach …) von Winckelmann, sondern auch wegen der ägyptischen, etruskischen, griechischen, Maya- und vielen anderen Exponate sowie der Einblicke in die Erforschung der Karsthöhlen der Gegend.

Wir schlendern dann noch eine Runde durch den Park, bevor wir den alten Glockenturm der Kathedrale besteigen und uns wieder einmal der Aussicht hingeben.

Und weil wir nicht immer nur Objekte aus dem Altertum betrachten wollen (so interessant sie auch sind), suchen wir anschließend noch den Mercato Coperto Trieste in einem Stadtteil auf, den wir bisher kaum begangen haben. Dieser überdachte Markt wurde 1936 von einem reichen Kaufmann errichtet und besticht durch seine moderne Architektur, innen wie außen. Leider ist aber nicht mehr viel los im Mercato; im Erdgeschoß finden sich noch ein paar Lebensmittelstandln, doch die Geschäfte in den über spiralförmige Aufstiege – und Rolltreppen, keine Angst – erreichbaren oberen Etagen stehen zum Großteil leer. Wahrscheinlich ist auch dieser Markt der Seuche der riesigen Supermärkte in den Außenbezirken zum Opfer gefallen … oder dem Online-Bestellungwahnsinn via Mobiltelefon.
Darüber wollen wir uns aber nicht den Kopf zerbrechen, weil das noch nie genützt hat. Schließen wir den Abend lieber auf der Mole ab. Und dann bei einer Pizza. Punktum. (ph)

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