Das „Weiberschloss“ von Neulengbach

Unser Gastautor Manfred Hartl erzählt in seinem zweiten Beitrag eine Geschichte aus der Zeit der Türkenkriege – und aus dem Wienerwald. In einer Hauptrolle: die kilometerweit zu sehende Burg Neulengbach, die seit 800 Jahren auf einem Berg thront, der mitten in der Stadt steht

Die starke Burg Neulengbach, an der man im Zuge der Wanderung 11 im Buch Wandern im Wienerwald („Auf den Buchberg“) vorbeikommt, war 1683, als die Türken (heute spricht man eher vom Osmanischen Reich) zum zweiten Mal versuchten, die kaiserliche Residenzstadt Wien zu erobern, im Besitz der Familie Palffy von Erdöd.

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Der Graf war im Feld, beim Kaiserlichen Heer des Fürsten von Lothringen, und viele Männer waren zur Verteidigung der Hauptstadt aufgeboten worden. Übriggeblieben sind lediglich Frauen, Kinder, halbwüchsige Buben, denen noch kein bisschen Bart wuchs, alte Männer und ein paar invalide Soldaten in der Burg – Veteranen der ewigen Türkenkriege, die das Haus Habsburg seit mehr als 150 Jahren gegen den Erbfeind führte.

Die alten Haudegen nannten die Besatzung geringschätzig das „Weiberschloss“. Von der Schlossherrin, Gräfin Sidonie von Palffy, einer geborenen Liechtenstein, aber sprach jeder in der Burg mit Hochachtung. Was war das doch für eine Frau! Groß, blond – eine markante Erscheinung, eine makellose Schönheit und alles andere als ein hilfloses Frauenzimmer. Energisch und mutig stärkte sie die verzweifelten und kleinmütigen Flüchtlinge, die sich aus dem Markt Neulengbach und den umliegenden Ortschaften hinter die Burgmauern gerettet hatten, und organisierte mit großer Umsicht die Verteidigung. Die Veteranen mussten den Geschicktesten und Mutigsten Unterricht im Schießen geben, und alle hatten den Umgang mit dem Säbel zu üben. Wasser stand überall in Bottichen bereit, wenn der Feind versuchen sollte, die Burg in Brand zu setzen, und jeder wusste genau, was zu tun war, wenn er die Sturmleitern ansetzen würde, um die festen Mauern der Burg zu ersteigen. Frau Sidonie schien überall gleichzeitig zu sein. Sie richtete Mutlose auf, sprach Trost zu und war den Geflüchteten ein Beispiel an Tapferkeit und Unerschrockenheit.

Eines Tages hatte sie sich entschlossen, allein einen Erkundungsritt gegen Hofstatt und Maria Anzbach zu unternehmen. Schneidig, wie die Gräfin war, saß sie auch im Sattel, ritt wie der Teufel und schoss meisterhaft. Sie wusste sich zu verteidigen und hatte keine Angst. Einwände, dass die Herrin die Burg nicht verlassen dürfe, wischte sie mit einer Handbewegung weg. Ängstlich lugten die Männer und Frauen ins Land. Zwei Stunden war die Gräfin nun schon unterwegs – ob ihr ein Unglück widerfahren war? Sie war in Männerkleidung aufgebrochen, ritt auf einem weißen Ross, ihrem Lieblingspferd, einem guten Renner, und war mit zwei Pistolen und einem Dolch nur leicht bewaffnet. Nicht auszudenken, wenn sie einer plündernden Türkenhorde in die Hände fallen würde …

02 Blick zurück auf Neulengbach

Da, plötzlich – ein Hornstoß oben vom Beobachtungsposten auf der Wehrplatte der Burg. Im Galopp ritt die Burgherrin aus Richtung Hofstatt auf die Burg zu und hinter ihr – o Gott! – eine Streifschar von fünf Türken. In wilder Eile flog das Pferd dahin, ihr roter Mantel flatterte im Wind. Jetzt hatte es den Burgberg erreicht. Steil steigt der Pfad hier an. Das brave Pferd rannte wie nie, hatte bereits Schaum vorm Mund, da löste sich einer der Türken aus der Schar und kam der Gräfin immer näher. Schon waren sie nahe dem Burgtor, das die Besatzung bereits geöffnet hatte. Mit einem schrillen Schrei schleuderte der gefährlich nahe gekommene Türke jetzt seine Lanze. Diese durchbohrte den Mantel der Gräfin, riss ihn und auch den Hut herab. Da löste sich die herrliche blonde Haarmähne der Frau, und der Türke war so erstaunt ob des Anblicks, dass er vergaß, sein Pferd zum Stehen zu bringen. Als die Gräfin durchs Schlosstor sprengte, folgte ihr der völlig überraschte Krieger, hinter dem sich krachend das Tor schloss. Sofort waren ein paar Mutige da, die den völlig Verdatterten vom Pferd rissen und ihn festhielten. Vom Tor her hörte man Schüsse, mit denen die Burgbesatzung die restlichen Türken auf Distanz hielt. „Unser Gast will wohl das Weiberschloss besichtigen“, rief die Gräfin spöttisch, als man den immer noch vor Schreck völlig Benommenen ins Verlies führte. Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Neulengbach wurde in diesem Krieg schwer heimgesucht, gebrandschatzt und der im Franziskanerkloster zurückgebliebene Frater Bernardius brutal ermordet. Die Menschen in der Burg jedoch haben überlebt — dank dem Mut und der Entschlossenheit der Gräfin Sidonie Palffy.

Aus dem gefangenen Mehmet wurde der Leibdiener des Grafen, der ihn selbst zur Taufe führte, sein Pate war und ihn Johann nannte. Ob diese Bekehrung ganz freiwillig vor sich gegangen ist, darüber schweigt leider unsere Chronik – und auch darüber, ob irgendwo im Land der Türken eine schwarzäugige Schöne um ihren vermissten Krieger weinte. Der hatte im Land des christlichen Feindes längst eine neue Familie gegründet. Nur manchmal am Abend, wenn der Lärm des Tages verklungen war, saß er lange allein am Fenster und blickte stumm nach Osten.

Die Geschichte von der Verteidigung der Burg Neulengbach durch Gräfin Sidonie von Palffy ist historisch. Die Episode von ihrem Erkundungsritt dürfte eine Legende sein. Ich habe sie als kleiner Bub gelesen und hier frei nacherzählt.

Geschichtliches: Die Burg Neulengbach ist die größte und stärkste Burg der Gegend. Sie wurde von den Hochfreien von Lengenbach, deren Geschichte hier ein andermal erzählt werden soll, um 1189 auf dem steilen Burgberg gegründet. Grund für die Verlegung des Sitzes der Lengenbacher von Altlengbach nach Neulengbach mag eine Verlegung der Straße nach Wien in dieser Zeit gewesen sein. Die Burg war unter den Lengenbachern ein kulturelles Zentrum. Minnesänger wie Neidhart von Reuenthal und Ulrich von Lichtenstein waren hier zu Gast – und vielleicht sogar der berühmte Walther von der Vogelweide. Mit dem Aussterben des Geschlechtes 1236, also zehn Jahre vor den Babenbergern, erlosch dieser Glanz und die Burg kam in die Hand des Landesfürsten, der sie durch Pfleger verwalten ließ. Unter der Familie Khuen von Belasy wurde sie nach Osten wesentlich erweitert und zu einem Spätrenaissance-Schloss mit Arkadenhof ausgebaut. Die weitere Besitzgeschichte soll hier nur bruchstückhaft erwähnt werden; von den Palffy von Erdöd ist ja oben schon die Rede gewesen.

Interessant sind noch die Reichsgrafen von Fries, die auch das Palais Fries-Pallavicini am Josephsplatz in Wien I. bauten. Der letzte von ihnen, Reichsgraf Moritz von Fries, erwarb Neulengbach und verschleuderte durch seinen luxuriösen Lebensstil sein riesiges Vermögen in kurzer Zeit. Ferdinand Raimund hat ihm mit seinem „Verschwender“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Unter den Fürsten Liechtenstein brannte die Burg im Jahre 1912 aus. 1920 kaufte die Gemeinde Wien das Gebäude als Erholungsheim für weibliche Lehrlinge. Im Zweiten Weltkrieg wurde es durch Artilleriebeschuss und die russische Besatzungsmacht schwer in Mitleidenschaft gezogen. 1962 erwarb der Grazer Kaufmann Martin Wakonig die Burg Neulengbach.

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Früher gab es Führungen, eine Zeit lang auch Veranstaltungen im Rahmen des NÖ Theatersommers in der zwar leeren, aber überaus interessanten Anlage. Da der Besitzer mit der Gemeinde aber zu keiner Einigung kommt, wird die Burg derzeit nicht einmal mehr in der Nacht beleuchtet und bleibt dem Publikum verschlossen.  (MH)

(Quelle: Neulengbacher Heimatbuch)

Über den Autor dieses Beitrags

Manfred kleinGeschichte und Geschichten begeistern mich ein Leben lang. So habe ich meine Berufung zum Beruf gemacht und bin jetzt Austria-Guide. Wenn Sie einen Begleiter und Guide für einen Tag oder Nachmittag brauchen, rufen Sie mich an. Ob Burg, Stift oder Stadt – ich begleite Sie gerne und habe viel zu erzählen!

Manfred Hartl: +43 664 73 90 55 23
Mail: manfredhartl@gmx.at
Website:  https://www.guide-manfred.com

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