Von Brünnlnarren, Lotterieschwestern und der ewigen Jugend

Der zweite Teil unseres Beitrags über das Agnesbrünnl berichtet über die Auswüchse des „Quellenkults“, als Zehntausende auf den Hermannskogel strömten – um ihre Jugend zurückzuerlangen oder im Lotto zu gewinnen

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„… der Unfug nimmt von Tag zu Tag zu. Von dem Steinbruch zu Sievering bis zur sogenannten Wunderquelle war der Weg zahlreich mit Bettlern besetzt, die ihre ekelhaften Schäden den Vorübergehenden zur Schau boten, um ihr Mitleid zu erregen. Weiter am Berge herauf … war eine Menge Viktualienhändler, welche Kipfeln, Obst, Würste, Gugelhupfs verkauften und Wein ausschenkten. Die Gegend um den Baum übertrifft aber alles. Der Baum war nach Art der Gängelbuden der Marktschreier mit Bildern, Rosenkränzel, Kruzifixen, Pfennigen behangen. Am Fuße des Baumes, wo ein neues Muttergottesbild herauszuwachsen anfängt, wie die dahin Wallenden zu sehen glauben, brannte eine Menge kleiner Wachslichter, wie in Kirchen am 2. November. Am Baume lehnten zwei Leitern, um den Wunderauswuchs auf dem Baume, die in der Phantasie bald ein Kruzifix, bald ein Mariazeller, bald ein Mariahilfer Bild darstellt, näher betrachten zu können. Da Mädchen und Weiber ohne Unterschied die Leiter bestiegen, so gewährt es für den Untenstehenden manch unanständige Ausblicke. Zwei Männer, mit Hacken versehen, hauten Holzsplitter aus, welche sie den Andächtigen für bares Geld verkauften, und während die Abergläubigen auf dem nassen Boden knieten und beteten, winkten feile Dirnen zur Wollust in die Gebüsche. Mit dem Quellwasser wurde ein ordentlicher Handel getrieben. Ungeachtet es sehr regnete, war die Straße von Wallfahrern bedeckt und nach sicheren Nachrichten hatten den verflossenen Sonntag schon 15000 bis 20000 Menschen die Gegend besucht.“

aus einem Bericht des niederösterr. Regierungspräsidenten Freiherr von Reichmann an den Wiener Polizeipräsidenten Graf Sedlnitzky, 5. Oktober 1817

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Schon bevor sich die unterschiedlichsten Geschichten um das Agnesbrünnl rankten, war der sagenumwobene Ort am Hermannskogel Anlaufstelle für Hilfesuchende. Grund dafür war das Antlitz der Muttergottes, das einige in der Rinde der Buche zu erkennen glaubten. Das Wasser der Quelle sollte zudem nicht nur eine heilende und verjüngende Wirkung haben, sondern später auch Glückssuchenden bei der Vorhersage der Lottozahlen helfen. (Kaum zu glauben: Zahlenlotto – „Lotto di Genova“ – gibt es in Österreich schon seit 1752; eingeführt wurde es von Maria Theresia!)

Das Brünnl als Pilgerstätte

Das Anbringen eines Marienbilds am Stamm der Buche (1805) durch eine gewisse Thereisa Schreckin aus Klosterneuburg förderte die Popularität des Agnesbrünnls zusätzlich. Zur Zeit des Biedermeiers pilgerten Menschen in unzähligen Prozessionen dorthin und kletterten auf eine Leiter, um das Marienbild zu küssen. Wie im einleitenden Zitat erwähnt, scharten sich Wahrsagerinnen um die Quelle, um die ungewisse Zukunft oder auch die Lottozahlen vorherzusagen. Splitter aus der Rinde der Buche wurden verkauft; man füllte Wasser ab und nahm es mit nach Hause. Der Skurrilität der Prophezeiungsmethoden schien keine Grenze gesetzt zu sein. Ein besonders findiger Wirt verkaufte die sogenannten „Ternowuchteln“, in denen sich Zettelchen mit den Glückszahlen verbargen.

Der große Komet von 1811

Komet 1811
Illustration in: „Bibliothek des allgemeinen und praktischen Wissens“, Band 4, Deutsches Verlagshaus Bong u. Co., Berlin, 1912, Herausgeber Emanuel Müller-Baden

Besonders stark war der Ansturm auf das Agnesbrünnl aber im Kometen-Jahr 1811. Von Neustift am Walde bis zum Brünnl standen Verkaufsbuden, die von Würsteln, Gugelhupf und Obst über Devotionalien fast alles feilboten.

Die Gerüchte von wundersamen Heilungen und Prophezeiungen drangen bald bis nach Ungarn, Böhmen und Mähren. Von überall kamen Wallfahrer und hofften auf ein Wunder. Das führte dazu, dass sich neben wahren Gläubigen und Glücksrittern schon bald auch viele Halsabschneider und geschäftstüchtige Scharlatane dort herumtrieben.

Ein jähes Ende

Misstrauisch verfolgten sowohl Staat als auch Kirche das kunterbunte Treiben – die Kirche aus Angst vor bösem Aberglauben, der ihre Schäfchen zu verwirren drohte, der biedermeierliche Staat aus Furcht vor ungewollten und unkontrollierten Strömungen.

Um dieser unliebsamen Entwicklung entgegenzuwirken, ließ man deshalb nach langem Hin und Her das Marienbild 1817 entfernen und an einem weniger prominenten Ort – dem Seitenaltar der Kirche von Weidling – wieder aufstellen. Kurz darauf wurden die Buche samt Wurzelstock entfernt und das Agnesbrünnl zugeschüttet.

Die Verzweiflung in der Bevölkerung war groß. Der Ansturm ließ zwar nach, doch der Kult um das Brünnl war längst nicht gebrochen. Nach wenigen Jahren schon trieben neue Buchen aus, und auch die Quelle fand einen Weg durchs Geröll. Wieder meinte man in den Ausformungen des neu gewachsenen Stamms das Abbild Marias zu erkennen. Ein neues Marienbild wurde angebracht, Gerüchte über Wunder wurden laut, und die Menschen strömten erneut mit großer Hoffnung Richtung Hermannskogel.

„Brünnlschwestern“ und „Brünnlnarren“

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Im Jahre 1859 bot sich dem Mythenforscher Theodor Vernaleken bereits wieder ein höchst anschauliches Bild vom Leben und Treiben beim Agnesbrünnl. Er schreibt:

„Auch am Tage hat das ganze Treiben etwas geheimnisvolles. Auf der verrufenen Jägerwiese trifft man ganze Gruppen, deren jede sich um ein Profetin schart. Da erfahren dann die Leute, wie man sich zu verhalten habe, wenn Karl oder die Agnes sich zeigen sollten, welche Nummern sie in der Lotterie zu setzen haben, was die Zukunft jedem einzelnen bringen werde und dergleichen. Bei einer anderen Gruppe bietet einer Glücksnummern zum Verkaufe, dort theilt eine Alte — natürlich nicht umsonst — sympathetische Heilmittel aus. Beim Brünnlein selbst sind mehrere Bäume mit Bildnissen behangen; Weiber blättern in Planetenbüchern und Würfeltische stehen umher. Andere drängen sich zur Quelle und schauen mit der größten Spannung auf den Grund, um aus den Figuren des Schlammes oder auf Steinchen die Nummern zu entdecken, die bei der nächsten Ziehung herauskommen. Glauben sie eine Nummer entdeckt zu haben, so waschen sie sich die Augen mit Wasser aus und schreiben die Ziffern auf. Manche legen Steine auf den Grund und murmeln halblaute unverständliche Worte vor sich hin. Hinter sich hört man Kartenschlägerinnen oder alte Weiber, die aus den Planetenbüchern lesen, nach Tag und Monat der Geburt fragen, um daraus die Zukunft zu profezeien. Nicht selten entstehen Wortwechsel, indem man sich ärgert an denen, die Zweifel äußern oder das Treiben spöttisch belachen.

Theodor Vernaleken: „Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich“ (Wien 1859)

Manche der „Brünnlschwestern“ und „Brünnlnarren“ , wie sie im Volksmund genannt wurden, blieben verbotenerweise sogar über Nacht, um sich ganz der Kraft des Ortes auszusetzen. Immer mehr wurden Naturverehrung, Marienkult und Religiöses in den Hintergrund gedrängt, das Verlangen nach Glück und Magie nahm hingegen mehr und mehr zu. Irgendwann ließ der Ansturm dann nach. Zwar fand weiterhin am Datum der Enthauptung von Johannes dem Täufer (29. August) der Brünnlkirtag statt, doch der war nun um einiges ruhiger.

„… dann kamen aus allen Winkeln der Stadt die berufsmäßigen Glücksmacher und Propheten zusammen, Kartenaufschlägerinnen und Planetenverkäufer, Straßenastrologen und sonstige Träger eines okkulten Wissens, die sonst für gewöhnlich irgendwo im Prater ihr Gewerbe betrieben.“

Walter Hirschberg: „Das Agnesbrünnl. Volkskundliches um eine Quelle im Wienerwald“ (Wien 1949)

1941 wurden die Bilder erneut entfernt, und man fasste die Quelle in ein Quellenhäuschen, womit auch die letzten Brünnlfrauen und Lottoschwestern ausblieben.

Das Agnesbrünnl heute

Und so sieht der sagenumwobene Jung- und Glücksbrunnen, zu dem früher Hilfesuchende aus allen Winkeln der Monarchie pilgerten, heute aus:

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Fast geht man vorbei an der Markierung, die zum Agnesbrünnl führt. Hat man die ehemalige Andachtsstätte dann gefunden, deutet nichts mehr auf ihren einstigen Stellenwert und das ganze Spektakel drumherum hin. Ganz im Gegenteil – heruntergekommen und verwildert ist dieser Ort, an dem nicht nur eine der bekanntesten Sagen aus dem Wienerwald spielt, sondern sich auch so manches Wunder zugetragen haben soll.

Neugierig geworden? Dann beschreiten Sie doch die Wanderroute 2 („Schöne Aussichten“) in unserem Buch Wandern im Wienerwald. Von der Jägerwiese aus können Sie dann, der blauen Markierung folgend, einen Abstecher durch den Wald zum Agnesbrünnl machen. Vielleicht sieht man sich ja bei Gelegenheit – am 29. August.  (kat)

Quelle:

Walter Hirschberg: Das Agnesbrünnl

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Kommentare anzeigen (8)
  1. […] über die Geschichte des Agnesbrünnls: Von Waldfeen, Markgräfinnen und nordischen Göttern und Von Brünnlnarren, Lotterieschwestern und der ewigen Jugend. Sie werden überrascht sein, wer sich einst aller im Wienerwald herumgetrieben hat! […]

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