Es war einmal – die Linie 360

„Fahr’ ma doch mit’n 360er nach Mödling raus!“ war Mitte des vorigen Jahrhunderts eine durchaus realistische Aufforderung zu einem Ausflug

>>Die Straßenbahn rumpelt gewaltig. Die Mitfahrenden lassen sich dadurch nicht stören, denn sie blicken mit unvermindertem Interesse durchs Fenster auf ausgedehnte Felder und Weingärten, die von vereinzelten Häusern und Gehöften unterbrochen werden. Etwas unterhalb der Strecke gelegen, grüßt die Wallfahrtskirche Maria Enzersdorf, vom Kalenderberg die Burg Liechtenstein, während der Triebwagen die Station Kirchenstraße wieder verlässt und auf Mödling zusteuert.<<

So hätte die Beschreibung einer Straßenbahnfahrt zwischen Mauer und Mödling vor ca. 70 Jahren aussehen können.

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Infotafel des Mödlinger Stadtverkehrsmuseums in der ehemaligen Station Felsenkeller

Schon zwischen 1887 und 1912 waren Garnituren der Linie 360 auf der genannten Strecke mit Dampfbetrieb unterwegs. Danach wurde schrittweise auf Oberleitung umgestellt. Ab 1921 verkehrte die Linie bis 1967 schließlich durchgehend elektrifiziert auf einer überwiegend einspurigen Strecke mit etlichen Ausweichstellen.

1963 beginnt aber das Ende dieser Verbindung heraufzudämmern. Die Wiener Verkehrsbetriebe errichten an der Stadtgrenze eine große Schleifenanlage und verlängern die Linie 60 von Hietzing bis dorthin. Der Linie 360 bleibt nur mehr das 6 km lange Teilstück auf niederösterreichischem Boden zwischen Rodaun und Mödling. Es entbrennt eine Diskussion über die Finanzierung der defizitären Linie zwischen dem Land Niederösterreich und der Stadt Wien. Schließlich kommt es zu keiner gütlichen Lösung – und die einst stolze Linie muss eingestellt werden. Am 30. November 1967 rollt der letzte Zug.

Wenn man die Erfolgsgeschichte der Wiener Lokalbahn als Vergleich heranzieht, hätte sich diese Verbindung heutzutage sicherlich wieder behaupten können und würde sich regen Zuspruchs erfreuen. So ist jedoch abgesehen vom damaligen Finanzierungsproblem der Umstand, dass in den fünfziger und sechziger Jahren die Menschen vermehrt auf eigene Motorisierung gesetzt haben, verantwortlich dafür, dass es diese Straßenbahnlinie nicht mehr gibt.

Nichtsdestotrotz kann man heute die ehemalige Trasse der Verbindung Rodaun – Mödling meistens erahnen bzw. sogar noch deutlich erkennen. Etwas abseits der Wanderungen „In den Föhrenbergen“ – W17 und „Der Ruinenbaumeister“ – W20 in unserem Buch „Wandern im Wienerwald“ ist eine Begehung der damaligen Strecke eine durchaus lohnende Unternehmung. Nebst Gleisteilen, Dammfragmenten und Fahrleitungsmasten sind außerdem noch Mastfundamente zu erkennen.

Die große Schleife in Rodaun in der Beethovenstraße entlang der Stadtgrenze ist fast noch zur Gänze erhalten. Die Strecke verläuft in Perchtoldsdorf weiter am Kreisverkehr Plättenstraße vorbei zur Spitalkirche und weiter die Donauwörther Straße. Nach der Salitergasse erreicht man durch den Schwedenweg die Herzogbergstraße, wo wieder Schienen und Masten zu sehen sind. Der ehemalige Bahnhof Perchtoldsdorf-Brunnergasse ist nun ein Privatwohnhaus. Im Zuge der Friedrich-Schiller-Straße wird dann die Außenringautobahn unterquert. Es folgt ein Kinderspielplatz (mit deutlichen Schienenresten) bei der ehemaligen Ausweiche Felsenkeller (ein ehemaliges Lokal) und eine Infotafel mit historischen Bildern über die Strecke …

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Gleich danach erkennen wir einen Damm und eine Rampe, die jäh endet. Hier gab es die Überbrückung der Wasserwerkstraße …

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Die Trasse setzt nun in der Liechtensteinstraße und nach dem Schulplatz in der Helferstorferstraße fort. Durch die Josef-Leeb-Straße geht es die Hauptstraße kreuzend kurz in die Grenzgasse, in der in die beschauliche Franz-Gschmeidler-Promenade einzubiegen ist. In der Norbert-Sprongl-Gasse 5 befindet sich schließlich der Bahnhof Mödling – heute ein Privatwohnhaus bzw. eine E-Tankstelle.

Das Mödlinger Stadtverkehrsmuseum bietet im Web einen interessanten Abriss der Verkehrsgeschichte unter diesem Link.
Auch andere Bahnen des südlich Wiens angrenzenden Raums werden erwähnt und mit interessantem Bildmaterial dargestellt. Ein Besuch des Museums ist allemal lohnend, um sich allein durch Betrachtung der alten Garnituren eine Vorstellung vom seinerzeitigen Transportstandard zu machen. (shaw)

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Kommentare anzeigen (5)
  1. Martin Krämer

    Der Bahnhof in Brunn hieß nicht Brunner Straße, sondern “Perchtoldsdorf- Brunnergasse”

    1. Anonymous

      Sie haben vollkommen recht! Ich kann aber heute nicht mehr sagen, wieso sich dieser Fehler eingeschlichen hat.

    2. Anonymous

      Sie haben vollkommen recht! Ich kann aber heute nicht mehr sagen, wieso sich dieser Fehler eingeschlichen hat.

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