Heute möchte ich Ihnen eine Geschichte über die Bäume im Wald erzählen. Nein, es sind keine Christbäume – die kamen eh schon einmal vor – und eigentlich überhaupt nix, was mit dem Advent zu tun hat. Sollten Sie aber trotzdem einmal vor Weihnachten in den Wäldern rund um Wien, bis weit hinein nach Niederösterreich, unterwegs sein und unser Buch „Wandern im Wienerwald“ mithaben, dann werden Sie froh sein, dass wir damals, beim Schreiben, etwas ganz Wichtiges zum Thema Orientierung gelernt haben.
Also, es war so: Als wir seinerzeit, noch im vergangenen Jahrtausend, vor 25 Jahren oder mehr, gemeinsam an unserem ersten Wanderbuch zu arbeiten begannen, hatten wir noch keine richtige Ahnung von Wanderbüchern. Wir konnten sie zwar relativ fehlerfrei lesen, wussten aber nicht, was man beim Recherchieren und Schreiben für ein solches Werk zu beachten hat. Das mussten wir alles mühsam selber herausfinden, weil Anleitungen gab es zu diesem Thema auch keine.
Man nennt sowas „Praxislernen“ oder auf Pidgin-Deutsch „Learning by doing“, und es kann Jahre dauern. Und glauben Sie mir: Jedesmal, wenn wir uns wieder irgendwo verirrt haben und ein paar Kilometer sinnlos und weitab vom gesuchten Weg herumgehatscht sind, war das wieder ein Stück Praxis. Unsere Füße haben was gelernt, und das gaben sie früher oder später an den Kopf weiter.
Anfangs war es so, dass wir – der Herr Singer und ich – viele Wanderungen gemeinsam gegangen sind, wegen der Kameradschaft und weil wir glaubten, dass vier Augen mehr sehen als zwei. Aber das ist auch wieder nur so ein deppertes Sprichwort, das mit der Realität nichts zu tun hat. Vier Augen sehen genauso wenig wie zwei, und manchmal übersehen auch alle vier was.
Jedenfalls: Deshalb und auch aus Zeitgründen beschlossen wir irgendwann, uns die Arbeit nicht zu teilen, sondern ganz im Gegenteil: sie zu VERDOPPELN, weil wir doch alles für den Leser tun und nicht wollen, dass er sich verirrt und wir schon wieder an was schuld sind. Und weil außerdem Vertrauen gut ist, Kontrolle aber besser. (Heißt das übrigens auch, dass Selbstvertrauen gut ist und Selbstkontrolle besser? Egal.)
So ging also zuerst einer von uns einen der konzipierten Wanderwege, schrieb seine Erkenntnisse feinsäuberlich zusammen, und übermittelte dem anderen dann die entsprechenden Zettel (oft wirklich als Zettel oder auch auf Diskette, vom Internet wussten wir ja seinerzeit noch nix, es war ja nix da, wir ham ja nix ghabt …)
Und dann machte sich der andere auf den Weg, mit dem Wunsch und Vorhaben, aufgrund der beschriebenen Wanderroute auch den richtigen Weg zu finden und ihn in der angegebenen Zeit zu begehen. Was oft gut funktionierte und manchmal nicht. Weil gelegentlich zum Beispiel der Meister Singer in seinem Wandertext die neckische Formulierung stehen hatte: „… biegen wir beim nächsten Holzstoß nach links in den Wald ab.“
Ha! Gehen Sie den beschriebenen Weg einmal, sagen wir, ein Jahr später (ja, es war ein Langzeitprojekt)! Da kann es schon sein, da ist es sogar höchstwahrscheinlich, vielmehr praktisch sicher, dass besagter Holzstoß nicht mehr da ist. Weil die Holzarbeiter einem ja nicht nur permanent den Wald rundherum zsammschneiden, sondern das Holz dann auch irgendwann wegräumen müssen, damit der Ikea Möbel daraus schnitzen kann.
Eine derartige Beschreibung ist so ähnlich, als würden der Singer oder der Hiess in ihrem Wanderbuch festhalten: „An der folgenden Kreuzung steht eine fesche Blonde mit dunkelgrauer Jeanshose und raucht eine Zigarette. Wählen Sie hier die rechte Abzweigung.“
Sowas sind keine bleibenden Werte, und darum haben wir auch davon abgesehen …
Es ändert sich ja auch so schon genug im Wienerwald – manchmal sieht man den Wald vor lauter Holzstößen nicht mehr. Aber darüber erzähle ich Ihnen ein anderes Mal mehr. (ph)
[…] unserem Weg sehen wir nicht nur den sagenumwobenenen Holzstoß, der hier ganz erstaunliche Ausmaße erreicht, sondern auch ein paar Kühe, die sich in seiner […]